Titus Neupert

Jupiter dirigiert

Jupiter ist der wichtigste Planet in unserem Sonnensystem, sagt Ravit Helled. Die Astrophysikerin untersucht, wie der runde Riese und andere Planeten entstanden sind.

Von Roland Fischer

Wie Planeten entstehen, ist im Prinzip klar: Die Gravitation sorgt dafür, dass immer mehr kosmisches Urmaterial zusammenklumpt. Doch im Detail ist noch vieles rätselhaft. Weshalb gibt es beispielsweise so komplett verschiedene Planetenarten? Lassen sich die Planeten in unserem Sonnensystem vergleichen mit solchen, die um andere Sterne kreisen? Solche Fragen spornen den Forschergeist an. Astrophysiker aus Zürich und Bern haben kürzlich neue Erkenntnisse zur Entstehung des Jupiters vorgelegt. Der Riese in unserem Sonnensystem ist offenbar ein besonders vertrackter Fall. Stimmen die Grundannahmen, müssten sich solche Gasriesen eigentlich viel rascher entwickeln, als dies tatsächlich geschehen ist. Irgendetwas muss das Wachstum von Jupiter verlangsamt haben, so viel ist klar. Aber was?

Ravit Helled, Gruppenleiterin am Center for Theoretical Astrophysics and Cosmology der UZH, hat eine gewisse Obsession für den Koloss, der rund 300mal schwerer als die Erde ist: Jupiter sei nicht nur der grösste, sondern auch der wichtigste Planet, wenn es um die Entstehung des Sonnensystems geht, erklärt sie: «Durch seine grosse Masse hat er alle anderen Dynamiken beeinflusst.» Er war sozusagen der Dirigent des Orchesters. Das bestätigt Julia Venturini, die in Zürich mitverantwortlich für die neuen Jupiter-Erkenntnisse war und inzwischen am International Space Science Institute (ISSI) in Bern forscht: «Jupiter ist der Schlüssel.»

Bombardierte Planeten

Aber zu welchem Schloss? Eine der grossen Kontroversen unter Planetenforschern dreht sich darum, wie gross die Teile sind, aus denen sich Planeten zusammenballen. Sind sie eher kieselgross – oder braucht man schon viel grössere Brocken, damit sich ein mächtiges Gebilde wie ein Planet formieren kann? Die Lösung der Forscher aus Zürich und Bern: kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. In ihren Modellrechnungen fanden sie einen Entstehungsprozess, der sich in einer ersten Phase aus kleinsten Steinchen speist – also dem einen Lager recht gibt –, um dann in eine zweite, weitaus rabiatere Phase überzugehen, die dem anderen Lager gefallen wird. In dieser verzögert sich das weitere Wachstum des Planeten, weil er beginnt, grosse Brocken anzuziehen. Das daraus resultierende Bombardement heizt den Urplaneten so stark auf, dass er für eine Weile nicht weiter Masse zulegen kann.

Ein komplexer Prozess also. Zu solchen Theorien kommt die Forschung allerdings nicht durch direkte Anschauung, sondern immer nur indirekt, indem die Astrophysiker einen Supercomputer mit den wahrscheinlichsten Ausgangsbedingungen füttern und dieser dann die weiteren Entwicklungsschritte durchrechnet (siehe Box). Direkt beobachten wird man einen solchen über Millionen von Jahren ablaufenden Prozess nie können. Experimente in kleinen Grössenordnungen gebe es zwar, sagt Venturini, zum Beispiel dazu, wie sich kosmischer Staub zusammenballt oder wie sich Materie unter hohen Drücken verhält. Aber letztlich wird Planetenforschung mit dem Computer gemacht.

Fluch des Erfolgs

Auf diese indirekte Weise, mit gewissermassen halbverbundenen Augen, kann sich die Wissenschaft ein konsistentes Bild der Entstehung von Planeten machen. «Wir haben inzwischen eine Vielzahl von Informationsquellen, die uns Rückschlüsse auf die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems erlauben», betont Ravit Helled, «wir müssen sie bloss clever genug in Verbindung zueinander bringen.»

Helled selber erforscht, wie die interne Struktur von Planeten und ihre Entstehung zusammenhängen. Deshalb ist sie auf die neuesten Daten der Juno-Sonde gespannt, die seit ein paar Jahren um den Jupiter kreist. Sie ist selber an der Mission beteiligt. Alle neuen Details über den Aufbau eines Planeten fliessen wieder in die Simulationen ein. So können immer feinere Mechanismen des Entstehungsprozesses enthüllt werden. Inzwischen gibt es einen gut etablierten Ablauf der Ereignisse, aus denen nach und nach die verschiedenen Planteten hervorgegangen sind. Das ist so etwas wie ein «Standardmodell» für die Entstehung des Sonnensystems.

Doch kaum passen die Puzzleteile einigermassen zusammen, droht alles wieder durcheinandergeschüttelt zu werden. Das Problem kommt aus der eigenen Küche, Fluch der jüngsten Erfolge in der Astrophysik. Neuerdings vermögen die Forscher nämlich auch fremde Planetensysteme zu beobachten – noch bis vor kurzem bedeutete ins Weltall hinauslinsen sprichwörtlich Sternegucken. Doch nun gibt es Methoden, um auch die nichtleuchtenden Objekte am Nachthimmel zu untersuchen.

Supergrosse Erden

Die neuen Beobachtungen machen aus manchen der schönen Theorien zu den verschiedenen Planetenarten und ihrer stufenweisen Entstehung Makulatur. So wurden beispielsweise supergrosse Erden gefunden, was in der Theorie nicht vorgesehen ist. Oder jupiterähnliche Planeten, die nah um ihre Sonne kreisen – wo sie, nach allem, was wir wissen, eigentlich nie und nimmer hätten entstehen dürfen. Wie sind sie da hingekommen? «Unsere Forschung muss sich diesen neuen Beobachtungen anpassen», sagt Julia Venturini, «für die Planetenforschung ist es eine aufregende Zeit.»

Denn damit könnten die Wissenschaftler immer detailliertere Informationen aus verschiedenen Sonnensystemen zu immer klareren Theorien verdichten. Noch bleiben ein paar erkenntnistheoretische Fallstricke. Sind die Einsichten, zu denen die Forscher anhand unseres Sonnensystems gelangt sind, der Massstab? Schliesslich haben wir von hier so genaue Informationen wie von keiner anderen Ecke des Universums, und das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Oder muss man sich von ein paar Grundannahmen zur Entstehung von Planeten verabschieden, weil sie einfach nicht ins Bild passen, das man nach und nach anhand anderer Planetensysteme gewinnt? Anders gefragt: Ist unser Sonnensystem ein seltsamer Spezialfall, a splendid exception, oder kosmischer Standard? Noch hat die Wissenschaft keine rechte Antwort auf diese Frage.

Roland Fischer ist freier Journalist.

 

Computersimulationen: Kosmische Konjunktive

Da man nicht beobachten kann, wie die Planeten eines Sonnensystems entstehen, bleibt den Forschern nur, sie möglichst akkurat zu simulieren – mit der Hilfe von Supercomputern. Diese werden immer schneller, sie können immer feiner strukturierte Modelle über hunderte von Millionen Jahren ablaufen lassen und zeigen, wie aus Staub und Steinhaufen allmählich unterschiedliche Planeten entstehen. Ziel ist es dabei, möglichst viele Parameter zu «setzen», etwa die Massenverteilungen im Urzustand des Sonnensystems, physikalische Gesetzmässigkeiten oder den Einfluss der Sonne. Vieles allerdings bleibt vage. Deshalb lässt man die Simulationen mit unterschiedlichen Grundannahmen immer wieder laufen. So werden verschiedene mögliche kosmische Entwicklungen, gewissermassen kosmische Konjunktive, berechnet.

Dass dies alles nur grobe Annäherungen sind, haben Forscher der UZH unlängst bei der Präsentation des schnellsten Simulationsprogramms der Welt gezeigt: Eigentlich müssten die Positionen und Geschwindigkeiten von 1057 Atomen exakt bekannt sein, um die Entstehung unseres Sonnensystem «wirklich» zu simulieren. Denn kleinste Unterschiede bei den Grundeinstellungen führen zu komplett anderen Planetensystemen. Ein Ausweg ist, mehrere Simulationen mit ähnlichen Anfangsbedingungen zu kombinieren. So werden statistische Aussagen zu globalen Charakteristika möglich. Auf diese Weise zeigt sich beispielsweise, dass der Jupiter in unserem Sonnensystem dafür sorgt, dass zwar weniger, aber dafür massivere Planeten entstehen.